🪵 „Wir haben da was eingeführt…“
Ein neuer Fachprozess, digitalisiert. - Ein neues Tool, bereitgestellt. - Ein Schulungstermin, abgehalten.
Ein paar Wochen später: Kaum jemand nutzt das System. Die Fachabteilung fühlt sich übergangen. Es gibt mehr Rückfragen als vorher. Die Stimmung: verhalten.
Was ist passiert? Genau das: Man hat Digitalisierung wie ein IT-Projekt behandelt – obwohl es keines ist.
🔌 Von der Elektrizität zur digitalen Intelligenz
Viele denken, Digitalisierung sei ein Kind der 2000er. Dabei beginnt ihre Geschichte viel früher.
Schon 1847 legte George Boole die Grundlage: Wahr und Falsch – als Rechenlogik. Turing zeigte, dass man damit jede logisch beschreibbare Aufgabe lösen kann – theoretisch. Claude Shannon machte daraus 1948 die Informationstheorie: Aus Zeichen wird elektronische Information, aus Information wird System. Und plötzlich wurde die Wirklichkeit elektronisch abbildbar und damit berechenbar.
Heute erleben wir die Fortsetzung dieser Bewegung:
- Sensoren messen, was früher verborgen war.
- Algorithmen analysieren, was niemand im Blick hatte.
- Sprachmodelle erzeugen Texte, als hätten sie ein Verständnis.
Doch all das ist keine Magie. Es ist das Ergebnis einer langen Geschichte: der Versuch des Menschen, seine Welt zu abstrahieren – und dadurch steuerbar zu machen.
🧠 Die Abstraktion der Wirklichkeit
Digitalisierung beginnt nicht mit Software. Sie beginnt mit einem geistigen Schritt: Der Moment, in dem wir anfangen, Realität als Modell zu verstehen:
Ein Gespräch wird zur Nachricht. Ein Treffen zur Videokonferenz. Ein Antrag zum Datensatz. Ein Prozess zur IT-Funktion.
In dieser Betrachtungsweise ist Digitalisierung nicht das „Virtualisieren von Papier“, sondern das Abbilden von Bedeutung, Beziehung und Handlung. Und genau hier beginnt die Herausforderung für Organisationen.
Denn sobald man Wirklichkeit abstrahiert, stellt sich nicht nur die Frage, wie ein Prozess abläuft – sondern wer ihn versteht, wer ihn kontrolliert und wer dafür Verantwortung übernimmt. Das ist der Moment, in dem klar wird: Digitalisierung ist keine technische Entscheidung. Sie ist eine Frage des Wissens – nicht nur was wir wissen, sondern wie wir es wissen. Verwaltung braucht nicht nur Informationen, sondern die Fähigkeit, das eigene Denken zu durchdenken. Klingt abstrakt? Ja. Aber ganz praktisch heißt das: In einer Organisation, die Daten hat, aber nicht weiß, wie diese zustande kamen – oder ob sie überhaupt noch gültig sind –, fehlt epistemisches Verständnis.
Digitalisierung zwingt uns, nicht nur zu handeln, sondern zu verstehen, wie wir verstehen.
⚠ Was das für Verwaltungen bedeutet
Verwaltungen sind keine Start-ups. Sie wurden für Verlässlichkeit gebaut, nicht für Wandel. Für Wiederholung, nicht für Variation. Das ist kein Vorwurf – sondern eine Stärke, wenn es um Rechtssicherheit geht.
Aber: Diese Struktur stößt an ihre Grenzen, wenn sich die Umwelt schneller verändert als die eigene Organisation. Genau das passiert gerade:
- Bürger:innen erwarten digitale Services, die funktionieren.
- Fachabteilungen brauchen Werkzeuge, die ihnen helfen statt bremsen.
- Führungskräfte müssen entscheiden – ohne die Zusammenhänge ganz zu durchschauen.
Wenn man unter diesen Bedingungen einfach ein „Digitalprojekt“ startet, passiert oft nur eines: Die Komplexität wird bestenfalls sichtbar – aber nicht gelöst.
🚧 Warum Technik allein nicht reicht
Ein System kann technisch funktionieren – und trotzdem organisatorisch scheitern. Denn Technik virtualisiert nur, was da ist.
Wenn Rollen unklar sind, werden sie digital unklarer.
Wenn Prozesse reibend laufen, reibt es digital nur schneller.
Wenn Verantwortung diffus ist, eskalieren Rückfragen – in Echtzeit.
Die Folge: Frust. Rückbau. Projektabbruch.
Und doch steckt hinter all dem kein Technikproblem – sondern ein Denkfehler.
Denn Digitalisierung – und erst recht KI – stellt eine einfache, aber unbequeme Frage:
Weißt du, wie du funktionierst?
🔄 Der Ausblick
In den kommenden Teilen dieser Serie gehen wir tiefer:
- Warum digitale Systeme eine andere Logik brauchen
- Welche Rolle KI im Gesamtzusammenhang spielt
- Und was genau sich verändern muss, damit Verwaltungen wirklich profitieren
Denn Digitalisierung ist kein Tool, kein Projekt, kein „digitaler Meilenstein“.
Sie ist der Anfang eines Bewusstseinsprozesses – und damit der Beginn echter Verwaltungsentwicklung.